Die beiden Frauen haben den Angriff unbeschadet überstanden. Ihre Wohnungen hingegen nicht. Sie sind bis auf Weiteres nicht bewohnbar. Da sie sonst nirgends unterschlüpfen können, beschließen sie, vorerst Claires Abstellraum im Kellergeschoss als Wohnbehelf zu nutzen. Hier hat Claire schon vor einiger Zeit vorsichtshalber Betten deponiert. Auf denen können die beiden Frauen vorerst schlafen, bis die Schäden in ihren Wohnungen beseitigt sind, oder sie eine andere Unterkunft gefunden haben. Da jedoch die Schäden in Claires Wohnung weder zügig beseitigt werden können, noch sie eine andere Bleibe zu finden vermag, „wohnt“ sie notgedrungen weiterhin im Keller. Dort ist es kalt und feucht und ungemütlich und alles andere als komfortabel. Aber was bleibt ihr anderes übrig? Hinzu kommt, dass sie als „Volljüdin“ hochgradig gefährdet ist. Wenn die Gestapo ihrer habhaft wird, muss sie damit rechnen, deportiert zu werden. Bislang ist ihr dieses Schicksal erspart geblieben, weil sie mit einem nicht-jüdischen Mann verheiratet gewesen ist. Doch der ist im Januar 1945 verstorben. Jetzt ist sie nicht mehr durch die sogenannte „privilegierte Mischehe“ geschützt. Und selbst die hätte ihr schon bald nichts mehr genützt, denn am 18. Februar 1945 werden in Wiesbaden auch jene Juden deportiert, die mit einem Nicht-Juden verheiratet sind, und darüber hinaus auch noch die Kinder, die aus diesen Ehen hervorgegangen sind. Für Claire ist es daher wichtig, möglichst „unsichtbar“ zu bleiben.
August 28, 2021
Zwischen dem 3. Februar und dem 28. März 1945
Dr. phil. habil. Stephanie Zibell
Autor
Dr. phil. habil. Stephanie Zibell, Jahrgang 1966, Studium der Politikwissenschaft, Germanistik und Publizistik, 1992 Magister Artium, 1999 Promotion, 2003 Habilitation. Bis 2020 Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zahlreiche Publikationen zu zeit- und regionalgeschichtlichen Themen.
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